In diesen Zeiten brauchen wir mehr Innovationen denn je. Angst ist dabei der größte Kreativitäts-Blocker. Was muss gegeben sein, damit Teams kreativ werden? In dieser Episode erfahrt Ihr wie Impro-Theater Mut machen kann, verrückte Dinge nicht nur zu denken oder zu sagen, sondern zu machen.
Stellen Sie sich einen Meetingraum vor: Graue Wände mit einem großen Monitor, Stühle aus glänzendem Metall und ein großer runder Tisch mit einer einsamen Blume in der Mitte. Dort sitzt Kerstin. Heute ist ihr großer Tag. Sie soll ihre Ideen präsentieren, wie die zukünftige Digitalstrategie des Unternehmens aussehen soll. Gleich kommen ihre Kollegen. Wenn Kerstin an Ihre Kollegen denkt, dann läuft ihr kalter Angstschweiß über den Rücken. Sind die Bilder in der Powerpoint Präsentation zu anzüglich? Sind manche Ideen zu verrückt? Die anderen Vorschläge sind jedenfalls nicht besonders originell. Mit feuchten Fingern tippt sie auf ihrem Laptop herum. Die Präsentation will sich einfach nicht auf den Monitor beamen lassen. Have you tried turning it off and on again? Sie macht einen Neustart. Es funktioniert! Auf dem Monitor steht in großen Buchstaben der Titel der Präsentation: “Digital First - Mit Mut und Offenheit zu echten Innovationen”. Die ersten Kollegen treffen ein und dann der Chef. Mit großer muskulärer Anstrengung schiebt Kerstin ihre Mundwinkel nach oben und bewegt sich von ihrem Stuhl.
Waren Sie jemals durch die Angst vor dem Versagen gelähmt? Dann sind Sie sicher nicht allein. Evolutionsbiologisch erfüllt sie ihren Zweck. Als Gesellschaftstiere sind wir Menschen auf die Gruppe angewiesen, um zu überleben. Wir tun alles, um dazuzugehören. Als Lohnabhängige im Kapitalismus müssen wir außerdem irgendwie unsere Brötchen verdienen. Dies ist kein natürlicher Zustand und doch ist die Angst vor dem Abstieg in die sozial geächtete Arbeitslosigkeit, dem Verlust von Wirksamkeit und Gemeinschaft gesellschaftliche Realität.
In kreativen Gruppen-Situationen gibt es neurobiologisch zwei Alternativen:
Wenn unsere Team-Erfahrungen von Sätzen geprägt sind, wie: Da hätte man doch dran denken müssen!, Das ist komplett unrealistisch!, Sie sind nicht befugt, erfahren und qualifiziert genug! oder ähnliches, schaltet unser Gehirn in den Survival-Modus. Angst! Wir zensieren uns und überlegen uns ganz genau, ob und wie wir uns einbringen.
Wenn die Gruppe meinen Beitrag wertschätzt, diesen aufgreift und eifrig weiterentwickelt, lernen wir, dass wir uns in einem sicheren Rahmen bewegen. Wir kommen als Gruppe in einen kreativen Flow und unser Gehirn schaltet in den Belohnungsmodus. Wir spielen miteinander und die Ideen sprießen.
Die Angst vor dem Versagen limitiert die Entwicklung von Innovation. Unternehmen in der digitalen und kulturellen Transformation können ein Lied davon singen. Sie stehen aktuell unter einem enormen Innovationsdruck. Mit aller Macht versuchen sie das über Jahrhunderte eingeübte Ideal der perfekt geölten Maschine “Mensch” loszuwerden. Fehler sind plötzlich erlaubt. Zumindest wird es gesagt, denn rational betrachtet, ist den meisten klar: Neues kann nur durch Trial and Error entstehen. Nur wie entsteht ein sicherer Rahmen für neue Ideen, der über reine Lippenbekenntnisse des Managements hinausgeht?
Fail fast! And fail together. Ein Schlüssel zur Überwindung der Angst vor dem Scheitern ist die Förderung eines risikoarmen Umfelds, das im Falle eines Scheiterns eine rasche Verbesserung ermöglicht. Auch hier, Sie werden es erahnen, lohnt sich ein Blick in die Welt des Improtheaters. Hier herrscht ein unvergleichlicher Innovationsdruck. Ohne Plan und Vorgesetzte gilt es hier, schnell Ideen zu entwickeln und diese dann auch gleich umzusetzen. Dabei ist ein Improtheater-Ensemble im Prinzip nicht viel anders als ein normales Produktions-Team. Das Publikum ist der Kunde und das Produkt ist die ad hoc-kollaborativ erzählte Geschichte.
Alle Ensemblemitglieder haben den Anspruch eine gute Geschichte zu erzählen. Erfahrene Improspieler wissen, dass dies nur gelingt, wenn jegliche Zensoren ausgeschaltet sind sowie sämtliche Impulse aus dem Publikum und von den Mitspielern aufgenommen und weiterentwickelt werden. Missverständnisse und “Fehler” sind in diesem Kontext vorprogrammiert. Tatsächlich schauen sich viele Improtheater an, um genau diesen Kitzel zwischen Genialität und Scheitern zu erleben. Wenn man scheitert, wird gelacht. Bei den Spielern entsteht eine regelrechte Lust am Scheitern. Guten Ensembles gelingt es zudem Fehler aufzunehmen und in die Geschichte zu integrieren. Aus Bullshit und Brainfarts, entsteht dann plötzlich etwas Neues und Schönes. Gelächter verwandelt sich in begeistertes Staunen.
Lässt sich dieses Prinzip auf Unternehmen oder gar die ganze Gesellschaft übertragen? Wir brauchen dringend mehr innovatives Denken und Handeln. Die Haltung ist entscheidend. Der menschengemachte Klimawandel, steigende soziale Ungleichheit und das Leben an der Seite von künstlicher Intelligenz stellen uns vor ungeahnte gesellschaftliche Herausforderungen. Sie erfordern ein radikales Umdenken, das clevere und erfrischende Lösungen zutage bringt. Für den kreativen Flow können wir Formate schaffen, in denen die Lust am Scheitern bzw. Lernen eingeübt wird. Bekannte Beispiele sind Fuckup-Nights, Retrospektiven, Fail Walls oder Celebration Grids. Hauptsache ist: Wir nutzen unseren Spieltrieb und kommen ins Machen.
Ihnen steht eine kreative Teamarbeit bevor? Machen Sie es wie Kerstin. Nachdem sie das krampfige Begrüßungsritual überlebt hatte, führte sie ein kleines Aufwärmspiel durch. Sie bat ihre Kollegen einen Kreis und eine simple Assoziationskette zu bilden. Jeder sollte nacheinander das Wort sagen, das ihm oder ihr als erstes in den Sinn kommt. Das Tempo sollte hochgehalten werden. Die erste Runde lief etwas schleppend. Viele befanden sich offensichtlich noch im Survival-Modus. Kerstin erzählte, dass es bei gemeinsamer Kreativität darauf ankommt, die Zensoren auszuschalten. Ab jetzt war alles erlaubt: Sex, Crime und Rock'n'Roll. Die zweite Runde machte deutlich mehr Spaß und die Begriffe flogen wie wild umher. Schließlich kam es zur Präsentation. Sie wurde ein voller Erfolg. Ihre Kollegen nahmen Kerstins Ideen auf und entwickelten sie weiter, so dass sie richtiger und wichtiger wurden. Aus einer Einzelleistung wurde Teamwork und für Probleme in der digitalen Transformation wurde eine spannende Lösungsstrategie entwickelt.
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